Das Ding aus einer anderen Zeit:

Cherry, Cherry Lady -

Die kandierte Kirsche


"Confect, so nennet man alles,

was sowohl von Früchten, Blüthen ...

oder Schalen ... nach der Kunst

mit Zucker überzogen ist."

(Ökonomisch-technologische Encyclopädie, 1776)


Cherry Lady: Kandierte Süßkirschen

der Sorte "Napoleon"


Ein Leben ohne Zucker? Galt einstmals als vollkommen dégoutant. Zeitreise zurück: Wer Zucker kaufen konnte, war schwerreich. Seit dem ersten Kreuzzug im Jahre 1095 brachten Kaufleute und Gewürzhändler im Gefolge der Kreuzritter erstmals Rohrzucker in nennenswertem Ausmaß aus dem Orient nach Europa. Hauptumschlagplatz Venedig. Und weil die Transportwege lang und der Handel schwierig und deshalb kostspielig waren, dachten sich die Königs- und Fürstenhäuser, die alleinig den großen Geldbeutel für die Luxusware hatten, hey, wir lassen uns doch nicht für dumm verkaufen, in Sizilien scheint die Sonne, auf den Kanarischen Inseln auch, wir bauen unser Zuckerrohr selber an.

 

Piep, piep!

1544 schließlich gab es einige nicht übermäßig große, aber doch einträgliche Plantagen, auf denen Saccharum officinarum wuchs, das Zuckerrohr. Unter anderem auf Rhodos, Zypern und den Kanarischen Inseln. Wenn in historischen Kochbüchern also von "Canarienzucker" die Rede ist oder von "Kanari-Milch", dann ist damit der feine Zucker von den Zuckerrohrplantagen auf den Kanaren gemeint. Der galt nämlich als der reinste und feinste. Für Normalsterbliche war er dennoch immer noch eine Zutat, auf die man eine Zeitlang hinsparen musste - Plantagen hin oder her.


"Conficiren" bedeutet:

Feine Sächelchen mit Zucker noch feiner machen.


Jahrtausendelang war Honig bis dato die einzige Zutat gewesen, mit der sich das Leben versüßen ließ. Verständlich, dass der exotische Rohrzucker aus dem Morgenland von den Europäern mit Begeisterung aufgenommen wurde. Schließlich ließ sich damit in der Küche allerlei Neuartiges anstellen, weit mehr, als bisher vorstellbar war: Früchte so haltbar zu machen, dass sie ihre Farbe behalten, zum Beispiel. Oder ganz neue Arten von Kuchen zu backen. Oder Feinstgebäck zu kreieren, das bisher so nicht denkbar war. Nicht zu reden von Eiscreme, Cremespeisen, Konfekt: Erst jetzt begann ihre glanzvolle Epoche. Die Sache mit dem conficiren ging als erstes erfolgreich in Serie: Rund um den Papstsitz in Avignon gediehen erlesene Früchte. In der päpstlichen Küche gab es im 14. Jahrhundert die ersten erfolgreichen Versuche, ganze Früchte oder Zitronen- und Orangenschalen mit Rohrzucker haltbar zu machen. Dafür werden sie, wenn nötig, entsteint, entkernt oder geschält, je nach Größe in Scheiben oder Stücke geschnitten und dann über Tage oder teils Monate in immer höher konzentrierte, lauwarme Zuckerlösungen eingelegt, wiederholte Male, bis das Wasser schließlich aus den Früchten zum größten Teil entzogen und vom Zucker ersetzt worden ist.

 

Kein Hexenwerk

Diese Konservierungsmethode ist extrem ausgefuchst, denn jede Fruchtsorte benötigt dabei ein anderes Ernte-Timing und andere Zuckerkonzentrationen. Temperatur spielt bei dem ausgedehnten Baden in Zuckerlösung auch eine Rolle. Früchte, die ihre Farbe und Form behalten und am Ende nicht mit Zucker dick kristallin überzogen sind, gelten seither als Nonplusultra. Sie dürfen am Ende nur von einer hauchzarten Zuckerhaut überzogen sein. Und diese sollte so behutsam getrocknet worden sein, dass die Früchte nicht dauerhaft aneinander kleben bleiben oder sich beim Lagern ineinander verkleistern. Noch heute kommen einige der besten kandierten Früchte aus Südfrankreich. Das Wort "Kandieren" leitet sich vom lateinischen condire ab: einmachen. Was mit Zucker eingemacht ist, gilt als kandiert. Und wer mit Zucker Süßes zaubert, darf sich Conditor nennen. (ein bisschen Hexenwerk vermutete man früher immer dabei). Womit wir bei den Hofzuckerbäckern wären (ein paar wenige Zuckerbäckerinnen gab es auch. Eine von ihnen kommt nachher zu Wort).


Jünger als gedacht:

Den Frankfurter Kranz gibt's so

erst seit den 1930er Jahren


Wenn aber Zucker so kostbar war wie Gold und nur bei Hofe und in Patrizierfamilien gang und gäbe, kann man sich gut vorstellen, dass nicht jeder damit hantieren durfte. Die ersten Zuckerdosen aus Silber waren oftmals mit einem Schlüssel versehen. Und zum Conficiren, also Marmelade und Konfitüre kochen, Früchte kandieren, Kuchenbacken und süße Dekos Entwerfen brauchte man eine eigene Ausbildung. Der Berufsstand der Hofzuckerbäcker war geboren. Sie waren stolz wie Oskar auf ihr Knowhow:

"die Conficir-Kunst besteht in der Wissenschaft,

wie man mit dem Zucker

zum Confect gehörigen Sachen

geschickt und klüglich umgehen soll"

 

schrieb die Autorin Amalia Friederica von Mellingsdorf in ihrem Buch Die kluge und Wohlerfahrene Haus-Mutter 1712. Ungeschickterweise kam die Französische Revolution dazwischen - und so war's mit der Lebensstellung bei Hofe für die Zuckerbäcker vorbei. Sie mussten sich umorientieren (ob ihnen damals schon jemand sagte, dass in jeder Krise eine Chance steckt, wissen wir nicht). Und weil Dolce Vita ein super Geschäftsmodell ist, eröffneten sie die ersten Konditoreien und zeigten einer staunenden Öffentlichkeit, welche Kunststücke sie bei ihrem Zuckerzauber so draufhatten. Limonaden, Liköre, Konfitüren zum Löffeln, Eiscreme, Törtchen, süße Pasteten, Konfekt, Bonbons und Pralinen lagen jetzt in den Schaufenstern der ersten öffentlichen Konditorei-Cafés. Nur die Buttercreme war damals noch nicht erfunden. Für die brauchte es den Siegeszug des Kühlschranks. Der begann so richtig erst in den 1930er Jahren - und wenn wir noch etwas genauer sind, in Europa eigentlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg.


Confiseur-Kunst im Spiegel der Geschichte


Der Frankfurter Kranz musste sich also noch ein paar hundertfünfzig Jahre gedulden, bis er die sonntägliche Kaffeetafel zieren durfte. Vermisst wurde er nicht unbedingt: Das Repertoire der kandierten, conficirten und sonstwie konditorierten Leckereien war auch ohne ihn riesengroß. Königskuchen mit Rosinen, Tartelettes mit kandierten Früchten, Milchreis mit kandierter Angelika, Cannoli, Zuppa Inglese, Dresdner Stollen und Teekuchen mit Zitronat und Orangeat ... die Liste der kleinen, feinen Schweinereien zu Kaffee, Tee und später Stunde ließe sich locker verlängern. Sollte sich nun daher jemand fragen, weshalb man in nicht wenigen Oma-Cafés heute noch Regale bestaunen kann, in denen Gläschen mit Rumfrüchten, hausgemachten Konfitüren oder Likörchen feilgeboten werden, darf man ab sofort kennerhaft nicken: Ach ja, die gute alte Conditur-Kunst


"Cherry, Cherry Lady" -

Wahrscheinlich ganz gut, dass es Modern Talking

zur Zeit der Avignonpäpste noch nicht gab


"Früchte vom Zucker

die gantz weich seyn

als wan sie vom Baum

gebrochen wären."

(aus dem Bewerbungsschreiben

einer Zuckerbäckerin im 18. Jahrhundert)


Für Walter Poganietz, den großen Kenner der Konditorenkunst.


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