FoodTorian Talk:

Stefan Pappert

Chef to The Royal Household

Queen Elizabeth II.

(21. April 1926 - 08. September 2022)


 

"It's not meatballs.

We call them Fleischpflanzerl."

 

Stefan Pappert war von 2017 bis Mai 2023 Chef to The Royal Household (so der offizielle Titel) - und kochte auf Windsor Castle für Prince Philip und Queen Elizabeth. Ein Gespräch über das Geheimis des besten Spinats. Die Bedeutung von Schöpfkellen. Und eine gelbe Müslischale.

 

The FoodTorian: Truth or dare - die Queen mochte Kaiserschmarrn?

Stefan Pappert: Sehr gerne sogar. Ich habe ihn mehrmals für sie zubereitet.

FT: Du hast als Chef to the Royal Household bis zu ihrem Tode für sie gekocht.

SP: Das Allerwichtigste war für uns, die große, alte Dame gut durchzubringen. Dass sie genügend Nahrung hat. Ich meine: Du kochst ja nicht nur für die Queen privat. Du kochst für die Krone von England! Über den Moment, als sie verstarb, als wir die Nachricht von ihrem Tode erhielten, möchte ich nicht sprechen.

FT: Wie hast du sie erlebt?

SP: Sie war eine Mega-Persönlichkeit. Eine unglaublich große Autorität. Und eine Großmutter, Mutter, Urgroßmutter par excellence.


Preparations for a State Banquet

at Buckingham Palace.

(Credits: The Royal Family)


FT: Wie kam es dazu, dass Du Koch für Queen Elizabeth wurdest?

SP: Durch eine Begegnung mit Prince Philip. Im Wembley National Stadium. Die königliche Familie ist Patron von Wembley, und William, Prince of Wales, ist Präsident der Football Association (FA). 2017 wurde ich Lead Chef des Wembley Stadium. Und damit auch Chef der Three Lions Lounge von Wembley. Die Wahrscheinlichkeit, in dieser Position niemanden aus der königlichen Familie zu treffen, liegt gleich null. Bei den vielen Veranstaltungen dort, Konferenzen, Konzerte, Fußballspiele, Empfänge, Dinner, war es nur eine Frage der Zeit. Prince William war da, Catherine war da, Harry war da.

FT: Und auch der Duke of Edinburgh.

SP: Bei unserer Begegnung saß er mit zehn Leuten an einem Tisch in der Royal Box. Ich wurde zu diesem Tisch gerufen. So etwas kommt hin und wieder vor, ich dachte, die Gäste wollten sich über irgendwas beschweren. Dass Prince Philip dabei war, wusste ich nicht. Ich habe ihn auch nicht erkannt. Ich gehe da also zu diesem Tisch hin und sage: "I'm Stefan, nice to meet you, where's the problem?" Und weil ich Philip nicht erkannte, vergaß ich natürlich auch, ihn mit "Royal Highness" anzureden.

FT: Und was passierte dann?

SP: Es stellte sich heraus, dass es überhaupt kein Problem gab. Und so bin ich wieder gegangen. Kurz darauf kam ein Sekretär in die Küche und sagte zu mir, ich sollte ein zweites Mal in die Royal Box kommen. Ich gehe da also nochmal hin, sage zu der Tischrunde: "I don't understand why I am here." Und da sagt Prince Philip zu mir: "These meatballs are different!" Und ich zu ihm: "It's not meatballs. We call them Fleischpflanzerl." Eine Woche später bekam ich die Einladung, auf Schloss Kensington zu kochen.


Kensington Palace: The south and east fronts

William Westall, 1819

(The Royal Collection)


FT: Das stellt man sich pompös vor.

SP: In Wahrheit ist dort mehr oder weniger eher eine Art Puppenküche. Mit Mikrowelle, um die Speisen aufzuwärmen.

FT: Mikrowelle????

SP: Kensington ist nicht Buckingham Palace! Auf Buckingham Palace ist das Protokoll zu Hause. Das ist der Amtssitz der Krone. Kensington hingegen wird als privater Wohnsitz genutzt. Prince Michael of Kent und seine Gattin Princess Michael of Kent leben dort, Beatrice und Eugenie haben dort eine Weile gelebt, Harry hat eine Zeit lang da gewohnt. Damals war er noch Senior Royal.

FT: Und hätte als solcher einen eigenen Haushalt haben können.

SP: Aber Kensington ist nicht darauf ausgerichtet. Auf Kensington leben größtenteils die sogenannten Junior Royals. Und die sind dem Royal Household angegliedert. In einem Junior Royal Haushalt gibt es keine eigene Küche, in der frisch gekocht und groß aufgetischt wird. Es gibt dort zwar einen Koch im Range eines Beikochs, der macht auch kleinere Gerichte für eine kleinere Anzahl von Personen. Aber wenn dieser Koch Feierabend hat, muss es eine Vorrichtung geben, um sagen wir: die Spaghetti Bolognese warmzumachen. Und deshalb gibt es in Kensington mehr Mikrowellen als Kochgeräte.

FT: Gar nicht so einfach, die Hof-Etikette.

SP: Was die Küche betrifft, sieht die Etikette vor, dass nur die Senior Royals einen großen Haushalt führen. Das waren zu meiner Zeit die Queen und Prince Philip, Prince Charles und Camilla. Und Prince William. Der hatte bis zu seiner Heirat auch einen großen Haushalt.


Windsor Castle

Hier kochte Stefan Pappert bis 2022.


FT: Kensington war die Zwischenstation auf dem Weg nach Windsor Castle.

SP: In Kensington habe ich nur ein-, zweimal gekocht. Dann bin ich nach Windsor versetzt worden. Und da hieß der Arbeitsauftrag: zwei Frühstück, zwei Mittagessen, zwei Abendessen. Ich habe mir anfangs nichts dabei gedacht. Ich habe mich nur gefragt, wieso wir keine Kinderessen kochen. Und wo eigentlich die Kinder sind? Ich war der Auffassung, auf Windsor würden William und Kate mit ihren Kindern leben. Erst nach vier, fünf Wochen sagte man mir, dass William gar nicht auf Windsor ist. Da habe ich gefragt: Und für wen koche ich hier? 


Mit Meatballs, pardon: Fleischpflanzerl

fing alles an.


FT: Wen hast du gefragt?

SP: Den Sekretär. Der guckte mich verwundert an: "You don't know who is living here?" Und ich: "I really don't know!" Ich meine, ich kam aus Deutschland, ich kam aus München, ich hatte keine Ahnung. Und dann antwortete der Sekretär: "Her Majesty, the Queen."

FT: Du hast also vier, fünf Wochen lang gekocht und wusstest nicht, dass es für die Queen ist.

SP: Frühstück, Mittagessen, Abendessen.

FT: Geht es ein bisschen genauer?

SP: Ich frag' mal zurück: Schauen wir uns doch mal an, was Du gerne so frühstückst. Und dann sage dir eins zu eins: Das hat sie auch gefrühstückt!

FT: Ich frühstücke Toast. Orangenmarmelade. Tee.

SP: Das war's dann auch. Maximal ein pochiertes Ei oder Rührei. Oder Spiegelei. Und samstags, sonntags ein Eierbuffet.

FT: Ich sehe schon, die Kleinmädchenträume vom Märchenessen bei Royals sind Quark.

SP: Und gleich wirst du mich nach den Vorlieben der Royals fragen. Was sie so am liebsten gegessen haben. Und ich sage dir: Sie haben gegessen, was ich gekocht habe.


Chef to the Royal Household:

Stefan Pappert


FT: Och ...

SP: Ich habe die Teller so bestückt, wie meine Oma mir das beigebracht hat. Ich hatte zum Beispiel immer einen Fisch als back up, für den Fall, dass irgendetwas schiefläuft, falls irgendetwas nicht schmeckt, und diesen Teller hab' ich dann so bestückt, wie ich es gelernt habe: Kartoffeln als Beilage, Gemüse als Beilage, Spinat oder Brokkoli oder Blumenkohl. Reis gab es kaum, auch keine Linsen, also diese ganzen Hülsenfrüchte wurden weggelassen, deswegen auch keine Kichererbsen, kein Hummus und dieser ganze Kram ... Wir haben sehr traditionell gekocht.

FT: Und Fleischpflanzerl. Da war doch noch was ...

SP: Ja, die Fleischpflanzerl damals in der Royal Box! Die Prince Philip so gut geschmeckt haben. Er wollte damals, dass ich an den Tisch komme, weil er wissen wollte, warum die so anders schmecken. Anders, als er es kannte. Das Geheimnis war, dass ich die Pflanzerl genau so gemacht habe, wie ich es im Münchner Osterwaldgarten gelernt hatte: Mit Semmelknödelmasse. Das macht sie besonders locker.

FT: Und sonst so?

SP: Es gab viel Kartoffeln. Kartoffeln in allen Variationen. Von pommes soufflées bis eigens gemachte Kartoffelkroketten, die habe ich abgewandelt, Tomatenkartoffelkroketten, Gemüsekartoffelkroketten. Kartoffelkroketten sind ähnlich wie Semmelknödel, da ist viel Variation möglich. Auch bei Kaiserschmarrn - da ist jeder Geschmack möglich. Und so kam es eben, dass genau diese Gerichte immer mehr Einfluss gewonnen haben. Weil ich nichts anderes kann! Alle diese Sachen. Darin bin ich gut.

FT: Fleisch, Gemüse, Sättigungsbeilage.

SP: Was soll man denn neu erfinden? Wir können das Rad nicht neu erfinden! Nimm zum Beispiel die vielen Empfänge, die die Queen hatte. Wir haben unglaublich viele Kanapée-Empfänge gemacht. Da gab es die eindeutige Vorgabe: Alles bitte genau so bemessen, dass es mit einem Biss verzehrt werden kann. Und bitte nicht immer nur Roastbeef mit Remoulade, nicht immer nur Lachs mit Blinis, immer diese Tomaten mit Mozzarella. Ich meine, wenn du 40 Empfänge in der Woche hast, kannst du diese Sachen irgendwann nicht mehr sehen. Also hieß es, wir sollten cleverer sein. Ich fragte mich: Was ist cleverer? Kleine Fleischpflanzerl-Häppchen! Mini-Steak-Burger. Mein absoluter Gimmick war etwas, das ich von der Wiesn her kenne: Schweinsbratenkruste mit lauwarmem Kartoffelsalat. Als Kanapée mega cool. Und wenn mich jetzt Journalisten fragen: Echt, du hast Schweinsbraten für die gekocht?, sage ich: Nein, wir haben keinen Schweinsbraten für die Empfänge gemacht, sondern es gab die Kruste davon als Häppchen!

FT: Bye bye Tomaten-Mozzarella!

SP: Auch gut bei solchen Empfängen: Meine Idee mit den Snacks. Der Koch des Britischen Premierministers hatte mit den gleichen Problemen zu kämpfen. Er fragte mich, was wir als back up bei Empfängen machen? Welche Snacks zu Drinks? Da hab' ich zu ihm gesagt, hör zu, in Wembley gibt's oft solche Sachen, die jeder früher gerne gegessen hat. So hab' ich eben Oreos oder Kitkat oder Chio Chips, Erdnussflips, Gummibärchen in Gläsern verteilt. Der Dauerbrenner. Jeder mag die!


Reception at Buckingham Palace,

February 14, 2018

(Credits: The Royal Family)


FT: Understatement als Hauptzutat.

SP: Prince Philip hat immer gesagt: "Tune down." Ich habe auf Windsor traditionell gekocht. Weil es das ist, was ich kann. Spiegeleier mit Salzkartoffeln, Spinat mit Butter, Butter, Butter. Ob die Sättigungsbeilage nun links liegt oder rechts, ist egal. Ob da noch Blümchen und Kräuter drauf sind als Deko - egal. Was entscheidet, ist der Geschmack. Deshalb habe ich beschlossen: Wir lassen die ganze Botanik auf dem Teller weg. Dieses Blättchen hier, Blättchen da. Dafür habe ich andere Sachen eingeführt. In England wächst Holunder. Also habe ich begonnen, Holunderblütensirup anzusetzen. Auch Bärlauch wächst dort. Kannten sie aber so nicht in der Küche. Selbstgemachtes Bärlauchpesto mit Scampi und Pasta, oder selbst angesetztes Basilikumöl - habe ich aufgefahren. Kam gut an. Weil es schmeckt!

FT: Auch die Küchenausstattung auf Windsor Castle ist traditionell.

SP: Das große Verdienst von Prince Philip! Er hat nach dem Brand von Windsor Castle im Jahr 1992 auch die Küche nach traditionellen Vorgaben renovieren lassen. Sie wurde in den Originalzustand versetzt und vergrößert, auf drei Stockwerke erhöht, wir haben dort jetzt eine Tageslichtküche. Links und rechts an den Seitenwänden die traditionellen, klassischen Rotisserien. So groß, dass man einen Hirschen daran braten könnte. Ein Glücksfall. Auch die Pfannen. Alles ausgestattet wie zu Escoffiers Zeiten. Kupferpfannen, Kupfertöpfe, Kasserollen. In allen Größen. Da kannst du Spiegeleier in richtig viel Butter braten. Das hat eine andere Qualität.


Inside the Royal Kitchen

at Windsor Castle.


FT: Eine Schlossküche mit offenem Feuer. Da würde ich gerne mal den Löffel schwingen!

SP: Noch lieber als einen Kochlöffel mag ich übrigens die Schöpfkelle! Sie ist mein allerliebstes Ding beim Kochen. Mit einer Schöpfkelle kannst du alles machen. In der Pfanne etwas anbraten. Saucen rühren. Kaiserschmarrn wenden. Und exakt passend portionieren. Eine Schöpfkelle - eine Portion. Eine Schöpfkelle - ein Knödel. So einfach ist das.

FT: Der Charme des Einfachen.

SP: Während der Sommermonate gingen die Queen und Prince Philip immer für zwei, drei Monate nach Balmoral. Zu unseren Aufgaben gehörte es, die sogenannte Balmoral Box zu packen. Da mussten einige bestimmte Dinge unbedingt mit hinein. Da habe ich dann zum Beispiel den Holunderblütensirup mit eingepackt. Oder die Müslischale der Queen. Und ihr Teeservice. Mit ihrer Lieblingstasse.

FT: Sie hatten kein Service auf Balmoral?

SP: Du hast doch sicher auch eine Lieblingstasse, oder? Klar gibt es auf Balmoral ein Tee- und Kaffeeservice! Aber das war eben nicht die Lieblingstasse der Queen. Sie wollte eben ihre Tasse, ihre Lieblingssachen. Diese komische Müslischale zum Beispiel, die wollte ich schon hundertmal in den Müll werfen. Ich hab' immer gesagt: Mein Gott, können wir das Ding nicht mal entsorgen? Nein. Sie wurde jedes Jahr wieder neu mit eingepackt.

FT: Die Müslischale der Queen. Wie sah die aus?

SP: (Zögert etwas:) Gelb. 'Ne gelbe Müslischale. Aus Kunststoff.


NICHT die Müslischale der Queen.

(Erbstück meiner Großmutter,

Villeroy & Boch, 1930er Jahre)


FT: Das klingt irgendwie ... nahbar. Wie die Sache mit Paddington Bear und dem Sandwich in der Handtasche.

SP: Mich haben die Leute immer gefragt, was hat die Queen denn in ihrer Handtasche? Da hab' ich immer zurückgefragt: Was hat denn deine Oma in der Handtasche? Süßigkeiten, Cookies? Da hat dann jeder ungläubig geguckt und gemeint, aber die Queen hat doch keine Cookies in ihrer Handtasche! Hat mir nie jemand geglaubt. Dabei hat jede Oma was Süßes in der Handtasche.

FT: Wer für die Queen Fleischpflanzerl gekocht hat, könnte es wissen.

SP: Rückblickend denke ich oft, kaum jemand war näher dran als wir.



"Sie war eine Mega-Persönlichkeit.

Eine Großmutter, Mutter,

Urgroßmutter par excellence."

(Stefan Pappert über Queen Elizabeth II.)

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